Ralph Roger Glöckler

Gloechler Tobit CoverÜber das Buch

Das biblische apokryphe Tobit-Buch hat mich herausgefordert, es ein wenig gegen den Strich zu bürsten. Tobit, der Gesetzestreue, lernt durch seinen Sohn Tobias zu verstehen, dass sich die alten Denkweisen weiterentwickeln und modernisieren müssen. Insofern ist das Libretto zu einem poetischen Stück über Wagenburgmentalität und die Kraft der Jugend geworden, das Alte und Überkommene durchaus liebevoll zu überwinden.
Der Text wurde von Stephan Peiffer zu einem Oratorium vertont, das noch auf seine Uraufführung wartet. Dank der Edition Maya wird das Libretto unabhängig vom Oratorium zur Verfügung stehen.

 

Textauszug

Fünftes Bild

Erste Szene: In Saras Zimmer. Sara. Chor der Freundinnen

Chor der Freundinnen

Sara, Närrin, sieben Männer, wohin?
Keiner gut genug?
Was, wollen wir wissen, willst Du?

Sara

Wisst ihr, was ihr wollt?

Chor der Freundinnen

Wir haben nichts zu wollen.
Zu jung zu alt zu dick zu dünn,
was, Sara, sind sie denn?
Du kämmst Dein Haar. Für wen?

Sara

Für den, der wissen will, wer Sara ist.
Ach, wenn ich wüsste, wer?

Chor der Freundinnen

Da wartest Du umsonst.
Töte sie, Mörderin, und wirf sie weg.
Was soll nur aus dir werden?

*

Zweite Szene: Chor der Männer. Sara

Chor der Männer

(Sara summt dabei eine Melodie)

Kalt bist Du, Sara.
Wir schenken Dir Juwelen,
Dich zu betören:
Du wirfst sie weg.
Wir wollen Dich,

(Beiseite)

und auch Dein Erbe,
die Ehe ist ein Geschäft.

Sara

Hülle mich in finstere Gewänder,
zieh lederne Handschuhe an,
mein Blick in dunkler Brille,
falsches Haar bis an die Zehen.
Trauer? Maskerade!
Dass keiner mich erkennen kann.

Chor der Männer

Sind wir nicht heiße Kerle?
Jeder sticht den andern aus.
Du aber zückst das Messer,
jagst uns aus den Kissen.
Wer, Sünderin, soll dich haben,
wenn nicht wir? Der Teufel?
Möge er Dich holen!

Sara

So sei es, Männer.
Doch der ist besser als ihr denkt.
Ich gönne ihm das Erbe.

(Lacht bitter)

*

Dritte Szene: Sara

Sara

Braut, Gattin, Mutter:
Ich kann nicht mehr ertragen,
nur Handelsgut zu sein.
Wer wird mich fragen?
Vater? Mutter? Nein.
Ich selbst muss wissen, was ich will.
Und diese Kerle will ich nicht.

Schäm Dich, Sara, keine Enkel zu gebären.
Du würdest schon, gewiss, doch nicht mit jedem,
der Dir von andern zugewiesen.
Arme Eltern. Sie drehen sich im Kreis.
Und ich kann ihn nicht sprengen.

Was, Gott, soll mir dieses Leben?
Du weißt, warum ich mich verweigere!
Die Zeit ist noch nicht reif.
Töte mich, sei gnädig, hole mich zurück.
Doch hast Du anderes mit mir vor,
so werde ich mich beugen.

***

 

Buchvorstellung in der "Evangelisch-reformierte Kirchengemeinde, Frankfurt"
Komponist des Oratoriums, Stephan Peiffer, spielt auf dem Flügel.

 

Tobit.

Über Blindsein und Sehen
Edition Maya, Bingen und Berlin, 2024
ISBN 978-3-930758-90-6
€ 22,00