Über das Buch
Ralph Roger Glöckler zelebriert in diesen fünf Novellen die Eroberungsmesse des Todes über das Leben, ohne Weihrauch und biblische Hallelujas, aber mit wortgewaltiger und aussagekräftiger Sprache. Seine Charaktere stolpern über missverstandene Gefühle, ersuchen den Sinn des Lebens in Kunst, in Hetero- und Homosexualität und verfangen sich in der Unfähigkeit zu sein. Der Tod lauert immer und überall. Als Erlöser. Und trotz des unvermeidlichen Schicksals aller Menschen erweist sich dieses Werk, gerade wegen des Todes, als meisterlich inszenierte Hymne auf das Leben, denn nichts ist wertvoller, nichts ist vergänglicher als das Leben selbst.
PD Dr. phil. Thomas Röske, Leiter der Sammlung Prinzhorn, Klinik für Allgemeine Psychiatrie, Zentrum für Psychosoziale Medizin, Universitätsklinikum Heidelberg, schrieb:
»… Die Novelle „Max“ habe ich nun gelesen, bin geradezu durchgerauscht, wozu Ihr „süffiger“ Schreibstil ja treibt – eine beeindruckende Darstellung des Stimmenhörens und der inneren Zerrissenheit eines jungen Mannes.
Navratils Interview mit Max kenne ich auch schon lange, seine Zeichnungen haben mich immer fasziniert. Im Gespräch imponiert ja seine fast durchweg negative Haltung und seine Selbstabwertung. Davon finde ich Reflexe in Ihrem „Max“. Ansonsten scheint mir der Text sich so frei von dieser Anregung zu entfalten, dass man ohne Ihren Hinweis nicht auf eine Verbindung käme – muss man ja aber auch nicht. «
Leseproben:
Aus: >Bericht in eigener Sache<
Dass Du schon wieder abreisen musst, sagt er traurig, hebt meinen Koffer auf die Gepäckwaage des Abfertigungsschalters. Seine Gefühle sind aufrichtig, hat sich in mir als trügerischer Hoffnung gewiegt, fürchtet die schmerzlichen Entzugserscheinungen des Alleinseins. Anstrengend, Spielplatz eines Narren zu sein! Macht nur anfänglich Spaß, dann wird es langweilig, ja lästig, hat gar gefährliche Momente. Für eine wie mich, jedenfalls, das will ich nicht verheimlichen. Aber davon später mehr. Gut, dass wir Tarife haben, viel verdienen, in Werten, die bürgerliche Ökonomie übersteigen, bin aber dennoch froh, dass dieser Fall ein baldiges Ende haben wird. So ist es mir gelungen, den Kunden zu warnen, gewisse, wie soll ich sagen, Maschen seiner Gefühle zu öffnen, durch die ein Aufblitzen unserer unerschütterlichen Vertragstreue, auch wenn er es nicht wahrhaben will, in ihn eindringen konnte, kurze, in seinen Affekten sofort verlöschende Lichter, an die er sich später erinnern wird. Mein persönlicher Einsatz ist nach dieser Abschiedsszene beendet, der Agentur sei Dank, alles weitere sind Schreibtischarbeiten, die ich online erledigen werde.
Schade, ja, sage ich, wirke betrübt.
*
Aus: >Max<
Er schläft. Ich schlafe nicht. Sein Atem streichelt meinen Hals. Die Wärme seines Körpers, gelbrote Wärme. Seine Hand auf meiner Hinterbacke, sein kleiner Finger an meinem Anus, als wolle er die Wunde besänftigen, die er mir zugefügt hat. Er hat keine Schmerzen. Ich habe Schmerzen. Gelbrote Schmerzen. Durch die Dunkelheit sprühende Funken.
Wenn ich die Augen öffnete, würden sie nicht mehr wie Meteore über diesem Urwald verglühen, oder gleißend von Farn- und Palmwedeln gleiten, deren Schatten sich im schrägen Morgenlicht über dieses Lager geflochten haben, sondern ich würde auf Kabel, Versorgungsleitungen, rostige Eisenträger starren.
Nein, werde die Augen nicht öffnen, werde noch nicht in diese Werkhalle voller Arbeit zurückkehren, werde mir Zeit dafür lassen, viel Zeit, will nur im gelbrot pulsierenden Raum meiner Schmerzen schweben.
*
Aus: >Villa Sonnentau<
Alles oder nichts: das Opfer ist dargebracht, ich bin gesühnt, weiterleben möchte ich nicht. Heute, das ist beschlossene Sache, werde ich sterben. Wenn dies mein Leben war, kann es nichts anderes, kann es nicht mehr gewesen sein. Sollte ich das Unkrautvertilgungsmittel trinken, werde ich vor Schmerzen das Bewusstsein verlieren, rasch verenden. Warum nicht, ein Akt der Solidarität mit den Pflanzen.
Ich bin auf alles gefasst, habe keine Angst vor dem Endgültigen, nicht einmal vor dem Sterben, versuche nur, mich auf seine Listen einzustellen, nicht vor seinen Schlichen zu erschrecken. Gut, zu wissen, was man will, das macht es leichter.
Ein Geräusch, draußen. Schritte auf dem Flur, langsame, überlegte Schritte. Die Dielen knarren. Der Tod bleibt stehen, überlegt wohl, wo er anklopfen soll, hat er dieses verborgene Zimmer bisher doch nie besucht, mein Herz beginnt zu rasen, kann's nicht verhindern, erhebe mich, drehe mich um, atme durch den offenen Mund, da stößt er die Tür auf, tritt ein. Ich fasse es nicht, verdammt, Du?
*
Aus: >Valentinas Tod<
Der See breitete sich im späten Licht aus. Der Dunst wich zurück, wuchtete das Gebirge hervor. Da stand es wie aus dem Nichts erschaffen, als wollte es sich noch einmal seiner selbst vergewissern, ein letztes Mal vor der Nacht. Plötzlich Röcheln: Hart, klirrend, schräg stürzen die Berge ein, Geröll prasselt aus den Schluchten des Himmels, prasselt übers Wasser, bricht Scherben zerschmetternd durchs Fenster. Der Maler fuhr aus seinen Gedanken auf, drehte sich um. Valentina, aufgerichtet, starrte ihn aus ungläubigen Augen an. Leben, schienen sie zu fragen, dort? Und verlöschten unter Lidern, die sich nicht mehr schlossen.
*
Aus: >Spiegelungen<
… ich rudere bang, doch unbeirrt weiter, hoffend, dass mich ihre durchs Wasser schlängelnden Schründe verschonen, wo wir doch gemeinsam in flüssigem Himmel treiben. Ich drehe mich um, will sehen, wie weit entfernt das Hotel noch ist, weit, noch eine Weile zu rudern. Da höre ich einen Ruf vom Ufer, noch einmal, vernehme gebrochene Echos, als würde von allen Seiten gerufen, lasse die Riemen los, versuche die Stimmen zu orten, kann aber nicht erkennen, von wem und woher sie kommen, und frage mich, ob es Rufe aus der Vergangenheit sind, Echos der Erinnerung, um mich zu ermutigen, anzufeuern oder, im Gegenteil, aufzuhalten und zurückzuholen? Oder war es nur Gelächter? Ich weiß es nicht. Dann ist es still, ich lausche, nichts, das Boot schiebt schräg voran, treibt über Gipfel hin, dreht sich im Kreis durch schwindlige Höhen, die sich zu finsterer Tiefe öffnen. Ich habe Angst. Soll ich hier sterben, soll alles schon zu Ende sein? Kurz vor dem Ziel? Wer weiß? Was soll’s. Ich will mich nicht dagegen wehren, dass herrlich Schönes nur ein Abgrund ist, der nach mir schnappt, und es dem Alter Ego weitersagen. Der soll es wissen. Endlich. Und Konsequenzen daraus ziehen.
»Die männliche Unreife des Todes«
Novellen
Erscheinungstermin: Donnerstag, 28. April 2016
Soft Cover mit Klappen · ca. 200 Seiten · 11,5 x 20 cm
ISBN: 978-3-95771-079-6 · Preis: 16,90 €
eISBN: 978-3-95771-080-2 · Preis: 12,99 €
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